Wir leben in einer Zeit, in der jeder zum Publisher werden kann… der Weg zum eigenen reichweitenstarken Blog oder einem Posting in sozialen Medien ist meist nur wenige Mausklicks lang. Auf diese Weise verbreiten sich auch Randmeinungen binnen kürzester Zeit in viralem Tempo.
Darüber hinaus tragen die durch soziale Medien und News-Aggregatoren aufgebauten Filterblasen dazu bei, das eigene Weltbild – und mag es noch so verquer sein – nicht zu hinterfragen. Die früher vorhandene Meinungsvielfalt durch Tageszeitungen und Nachrichtensendungen geht für manche verloren.
Selbst für den kritischen Medienkonsumenten gestaltet es sich zunehmend schwieriger, Verschwörungstheorien und bewusste Täuschungen zu erkennen; auch weil die Professionalität der Akteuere in letzter Zeit zugenommen hat.
Typische Merkmale von Verschwörungstheorien
1 | Eindeutige Benennung des Schuldigen
Die meisten Verschwörungstheoretiker benennen klar den Ursprung allen Bösen:
Oft steckt eine „Elite“ aus Wirtschaft und Politik hinter allem, aber auch Großunternehmen, einflussreiche Persönlichkeiten oder – besonders in rechtsextremistischen Theorien – ethnische Bevölkerungsgruppen oder Anhänger bestimmter Religionen.
Ein schwarz/weiß geprägtes Weltbild ist beinahe obligatorisch für Verschwörungstheorien. Es existiert keine Mitte, nur das wirklich Gute und das abgrundtief Schlechte, nur absolute Schuld und reine Unschuld.
2 | Erkenntnisgewinn durch Wenige
Obwohl die meisten angeblichen Verschwörungen globale Ausmaße erreichen, erkennt nur eine kleine Minderheit die Wahrheit – zu welcher sich selbstverständlich der Autor des jeweiligen Pamphlets zählt. Wissende, ahnungslose Mitläufer und Helfershelfer stehen einer zu unterjochenden Bevölkerung gegenüber.
Nur der Verschwörungstheoretiker selbst kann als Experte die Wahrheit von der Lüge trennen und wandelt sozusagen als Lichtgestalt durch sein eigenes Weltbild.
3 | Bewusste Falschdarstellungen
Fakten werden bewusst falsch dargestellt, fehlinterpretiert oder einfach nicht genannt. Hinzu kommt die Schaffung „alternativer Wahrheiten“ (ein euphemistischer Begriff für „Lügen“), die als unwiderlegbare Tatsachen getarnt grundlegender Bestandteil der Verschwörungstheorie sind.
Verschwörungstheorien nutzen kontrafaktische Aussagen (der Wirklichkeit widersprechend) und das Stilmittel der rhetorischen Frage, um den Leser zu beeinflussen und von ihrer Richtigkeit zu überzeugen.
So findet auch keine Plausibilitätsprüfung oder eine Abwägung der vorgebrachten Thesen statt; ebensowenig möchte man die eigenen Ausführungen kritisch hinterfragt sehen. Stattdessen werden gerne Vorwürfe selbst in Fragen gekleidet („Warum wurde nicht gleich…“), um vom fehlenden Wahrheitsgehalt vorangegangener Aussagen abzulenken.
Oft nutzt man das Einstreuen von fehlerhaften Informationen in tatsächlich stattgefundene Ereignisse, um die Meinung des Lesers in eine bewusste Richtung zu verbiegen. Auch Hörensagen und die Übernahme von Kommentaren Dritter werden als angeblich verlässliche Quelle dargeboten.
4 | Gefahr und negative Emotionen
Grundsätzlich vermitteln Verschwörungstheorien meist eine Gefährdung für Leib, Psyche – und Geldbeutel. Auch das Recht zur eigenen Selbstbestimmung und sogar die Gesellschaftsordnung an sich werden als potentiell bedroht gesehen.
Das Wecken negativer Emotionen ist immanenter Bestandteil jeder Verschwörungstheorie:
Sie sollen den Leser auf die Seite des Autors ziehen und allein durch ihre Stärke ein eigenständiges Denken blockieren. Stattdessen wird eine instinktiv gesteuerte Reaktion forciert, sei es das Provozieren einer Abscheu auf die angeblichen Urheber der Verschwörung oder das Triggern eigener Aktionen (zum Beispiel die weitere Verbreitung der Thesen in sozialen Netzwerken).
5 | Übermächtige Gegner
Verschwörungstheoretiker sehen sich gerne in der Rolle des Märtyrers, ständig kämpfend gegen kaltblütige Feinde. So agiert die Gegenseite immer bewusst skrupellos und führt großangelegte, rücksichtslose Operationen zur Erlangung ihrer Ziele durch.
Völlig übersehen wird dabei von den Autoren jedoch ihre eigene Stellung:
Während es „das Böse“ angeblich schafft, den Rest der Bevölkerung zu täuschen und in die Irre zu führen, so versagt sie bei der einfachen Aufgabe, einen einzelnen Verschwörungstheoretiker mundtot zu machen. Die Frage, ob das Begehen eines solchen stümperhaften Fehlers im Angesicht der Dimensionen einer Verschwörung überhaupt glaubhaft wäre, wird nie gestellt.
Ein gutes Beispiel sind die oft rechtslastigen, menschenverachtenden Kommentare in diversen Nachrichtenportalen im Web:
Deren Verfasser werfen Medien gerne Zensur und Gleichschaltung vor – die Tatsache, dass diese die Meinungsfreiheit aber durch das Veröffentlichen derartiger Hasstiraden und Nischenmeinungen gerade respektieren (und teilweise sogar überstrapazieren), wird geflissentlich ignoriert.
6 | Abwertende Begrifflichkeiten
Grundsätzlich ist das Diskreditieren von Personen oder Organisationen ein beliebtes Mittel, um von der eigenen mangelnden Glaubwürdigkeit abzulenken und sich selbst ein höheres Ethos zu verleihen.
Die folgende Liste enthält von Verschwörungstheoretikern gerne verwendete Begriffe, um die Verantwortlichen der Konspiration in Misskredit zu bringen, sich selbst abzugrenzen oder eine bewusste Aufwertung des eigenen Egos zu erfahren (leider erhebt diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
aufrecht, Elite, Einheitsmedien, Einheitspartei, Gesinnungsethiker, Gutmensch, linksidealistisch, linksneoliberal, Lügenpresse, Multi-Kulti, Neubürger, Politkaste, <Produkt>lobby, Propagandamaschine, Propagandisten, Systemmedien, Systempartei, Ungläubige, Weltkonzern, Weltverbesserer, "das indigene Volk", "korrupte <Berufsgruppe>", "korrumpierte Systemparteien", "mediale Gehirnwäsche", "wir Deutschen"
Also Vorsicht: Lesen Sie in einem Beitrag mehr als zwei dieser Begriffe, sollten Sie das Geschriebene nicht unreflektiert hinnehmen, sondern kritisch hinterfragen.
7 | Im Faktencheck durchgefallen
Wie oft ging in den vergangenen Jahren eigentlich die Welt unter? Wann wurde unsere Kultur zuletzt von einem schier endlosen Flüchtlingsstrom überschwemmt? Wie häufig vergifteten uns Großkonzerne mit gentechnisch modifizierter Nahrung? Leben wir schon in der neuen Weltordnung? Denken Sie einmal nach…
Es macht zwar Mühe, die angeblichen Wahrheiten als Fiktion zu entlarven – doch dies ist die zuverlässigste Methode, einer Verschwörungstheorie auf den Zahn zu fühlen:
Statistiken, Belege und Fakten aus objektiven Quellen lassen die Lügenkonstrukte der Verschwörungstheoretiker wie ein Kartenhaus schnell in sich zusammenfallen. Wichtig dabei ist nur, die präsentierten Informationen auch tatsächlich hinterfragen zu wollen und nicht nur passiv zu konsumieren.
Der gerne von Verschwörungstheoretikern gebrauchten Redewendung „Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast.“ sollte man immer entgegnen „Traue keiner Wahrheit, die Du nicht selbst überprüft hast.“.
Resümee
Das Erkennen von Verschwörungstheorien, Hetzpropaganda und Lügen in den Medien ist schwieriger geworden, aber möglich:
In den meisten Zweifelsfällen hilft es schon, vor dem Medienkonsum den eigenen Verstand zu aktivieren und sämtliche Aussagen sowie eigene Standpunkte (selbst-)kritisch zu hinterfragen.
Auch der Versuch einer objektiven Einschätzung der Quelle ist sinnvoll: Handelt es sich um ein vertrauenswürdiges Medium? Finde ich die gleiche Information bei mindestens zwei weiteren voneinander unabhängigen Quellen? Wo gibt es Widersprüche oder eine tendenziöse Auslegung von Fakten?
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: März 2017 | Letzte Aktualisierung: Mai 2021
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